Brauchen „digital natives“ Digitale Grundbildung?

Im Schuljahr 1989/90 begann das damalige Unterrichtsministerium an den Pädagogischen Instituten in sogenannten Trägerfächerseminaren Lehrende weiterzubilden für die Integration von IKT (=Informations- und Kommunikationstechnologie) in den Unterrichtgegenständen Deutsch, Englisch, Mathematik und Geometrisches Zeichnen. Im fachintegrativen Unterricht sollten – heute würden wir sagen – digitale Kompetenzen vermittelt werden.
Mit dem Schuljahr 2018/19 gilt der verordnete Lehrplan für die verbindliche Übung „Digitale Grundbildung“ in allen Schulen der Sekundarstufe I, AHS und (Neue) Mittelschule. 30 Jahre später wird das – nun für alle Unterrichtsgegenstände – verpflichtend, was man seinerzeit vorausschauend als notwendige Maßnahme erkannt hatte. Die damalige Unterrichtsministerin Hilde Hawlicek schreibt im Geleitwort zu „Neue Techniken in Englisch“: „Als zielführend erscheint es, bestehende Unterrichtsgegenstände zur Berücksichtigung neuer Informationstechniken zu erneuern. […] Die eingeschlagene Lehrplanreform betont das Tun […]“ Die sinnvolle Nutzung neuer Techniken soll zu „lernfähigen, klugen, kritisch abwägenden Schulabgängern“ führen. [„Neue Techniken in Englisch“. Informationstechnische Grundbildung in der allgemeinen Pflichtschule. Nr.2/89 I.Jahrgang. BMUKS Wien 1989. ]


2018 schreibt das bmbwf auf seiner Homepage zur „Digitalen Grundbildung“: „Es verdeutlicht, welche Fertigkeiten konkret mit der im Lehrplan genannten „eigenverantwortliche[n], reflektierte[n] Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien“ gemeint sind und ermöglicht es Lehrerinnen und Lehrern so, digitale und informatische Kompetenzen planvoll integrativ im Fachunterricht zu vermitteln.“
https://bildung.bmbwf.gv.at/schulen/schule40/digikomp/digikomp.html
Aber, braucht es das noch im Zeitalter der „digital natives“? Die Jugend ist doch mit Computer und Internet aufgewachsen. Die können doch alles, oder?
Die meisten von uns sind mit der deutschen Muttersprache aufgewachsen. Dann hatten wir aber trotzdem 12 Jahre Deutschunterricht…

Der Begriff „digital natives“ von Marc Prensky zielt jedoch nur darauf ab, dass diese Jugendlichen eine Welt ohne das Digitale nicht mehr kennen. Wie sehr ihre Selbsteinschätzung von den tatsächlichen digitalen Kompetenzen abweicht, analysieren Umfragen und Studien, aber auch einfache Testungen in den Klassenzimmern zeigen mitunter alarmierende Defizite.

Ca. 70% der 15- bis 19jährigen glauben, dass sie sehr gut bis eher gut abschätzen können, ob etwas, das sie im Internet lesen oder sehen, wahr oder gelogen ist.[1] Die Kriterien aber, auf die sie dabei vertrauen, gründen sich auf bekannte Markennamen, Ästhetik (gut aussehen = vertrauenswürdig) und quantitative Aspekte wie Anzahl der Klicks, Likes und Userkommentare. 8 von 10 Jugendlichen betrachten die erstgelisteten Treffer in Google als die besten Webseiten. 25% befinden, dass sie sich „sehr gut“ auskennen, 56% „eher gut“.

Der „digital divide“, der digitale Grabenbruch hinsichtlich der digitalen Kompetenzen besteht aber nicht nur zwischen den Generationen, sondern auch zwischen den Schülerinnen und Schülern. Holländische Daten konstatieren bereits eine wachsende Kluft auch hinsichtlich der IT-Skills entlang der sozialen Ungleichheit. Gebildete Eltern fördern ihre Kinder intensiv in der strategischen Anwendung von IT für schulische und berufliche Ziele. Obwohl die Verweildauer im Internet zwischen Kindern gebildeter und weniger gebildeter Eltern gleich intensiv ist, nutzen nur 15% der wenig gebildeten Jugendlichen das Internet für Hausübungen und Lernen, 25% nie, hingegen verzichten nur 5% auf Lernunterstützung aus dem Internet in den gebildeten Schichten.

Seit Jahren zeigt sich, dass für die Jugend „YouTube“ als die wichtigste Informationsquelle im Internet gilt. Sehr junge Lernende bezeichnen „YouTube“ sogar als ihre beliebteste Suchmaschine. Neben Unterhaltung und Musik bietet „YouTube“ Anleitungs- und Erklärvideos, deren Tonspur schon auch mal übersetzt oder transkribiert wird für ein Referat oder eine Hausübung, denn diese Audiotexte finden die Lehrenden nicht, wenn sie googeln.

Überhaupt ist das Prinzip REMIX die gängigste Arbeitsweise. Das „Selber Machen“, „Selber Schreiben“ ist nicht so cool. Diverse Funde aus dem Netz neu zusammenstellen und arrangieren – so wird heute gearbeitet. Meist finden sie, dass die Inhalte im Netz jugendgerechter und anschaulicher aufbereitet werden als im Unterricht. Überhaupt wirke der Einsatz von IKT im Unterricht oft aufgesetzt.

Unterschiede zwischen den Geschlechtern hingegen sind nicht signifikant. Aus diversen Studien im deutschsprachigen Raum sehen wir, dass Burschen vermehrt Interesse im Bereich „Gaming“ zeigen, Mädchen mehr Zeit ihren kommunikativen Skills widmen.

Der Einfluss der Eltern auf die digitalen Kompetenzen ihrer Kinder wurde lange kaum beachtet. Das Einschätzen und Bewerten von Informationen fällt digital wenig kompetenten Eltern besonders schwer. So reagieren manche hilflos, wenn ihnen z.B. in einem Saferinternet-Vortrag die Gefahren des Netzes bewusst werden und sie daraufhin ihren Kindern das Smartphone wegnehmen. Jugendliche zeigen wenig Vertrauen in die digitalen Kompetenzen ihrer Eltern. „Die checken nix“ meinen manche großspurig. Die engen Grenzen der eigenen digitalen Kompetenzen sind aber vielen nicht bewusst.

Mit dem verpflichtenden Lehrplan zur „Digitalen Grundbildung“ wurde ein wichtiger Schritt gesetzt. Die Verbindlichkeit sich in allen Unterrichtsgegenständen mit Themen des digitalen Lebens auseinanderzusetzen stärkt die Bedeutung der Schule in der Vermittlung digitaler Inhalte. Neben dem Elternhaus und Freundeskreis ist die Schule nach wie vor die wichtigste Informationsquelle für die Jugendlichen im IT-Bereich.

Die o.ö.Jugend- und Medienstudie 2017 zeigt deutlich, dass in den Unterrichtsgegenständen, in denen viel digitales Material für den Unterricht zur Verfügung steht, dieses auch intensiv eingesetzt wird. So liegt wenig überraschend Englisch vor Mathematik und Deutsch.[Frage 35] Das heißt aber auch, dass ein Angebot von Unterrichtsbeispielen wie digi.komp8 sehr wichtig ist für die Implementierung digitaler Themen in den Unterricht.

In acht Kernbereichen wie „Gesellschaftliche Aspekte von Medienwandel und Digitalisierung“, „Informations-, Daten- und Medienkompetenz“, „Mediengestaltung“, „Digitale Kommunikation und Social Media“ oder „Sicherheit“ werden Themenfelder definiert, die in allen Unterrichtsgegenständen Platz finden können. „Technische Problemlösung“ und „Computational Thinking“ klingen eher nach Informatik, aber „Informatisches Denken stellt eine universell einsetzbare Haltung und Fähigkeit dar, die alle lernen und nutzen sollten, nicht nur Informatiker“, meint Jeannette M. Wing in einem Paper zu diesem Thema. [Jeanette M. Wing: Computational Thinking – Informatisches Denken. 2006. ]
Übrigens: Auf der Startseite von https://eeducation.at/ steht ein Kompetenzraster zur Digitalen Grundbildung mit Unterrichtsbeispielen.

In Europa kommen – je nach Land – nur 8% bis 18% der Schülerinnen und Schüler in ihrer gesamten Schulzeit mit Coding, also Programmieren im weitesten Sinne, in Berührung. In China waren es 2014 bereits 52%.

Mit der Umsetzung der verbindlichen Übung Digitale Grundbildung wollen wir unsere Jugend unterstützen den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen, denn sie werden erst 2070 an ihren Ruhestand denken können und das Smartphone hat erst vor 12 Jahren begonnen unsere Gesellschaft zu  verändern.


[1] Digitale Kompetenzen für eine digitalisierte Lebenswelt. Philipp Ikrath und Anna Speckmayr, Institut für Jugendkulturforschung. Wien. AK. 2016. https://wien.arbeiterkammer.at/service/studien/digitalerwandel/Digitale_Kompetenzen_fuer_eine_digitalisierte_Lebenswelt.html#

Dieser Beitrag ist im Sommersemester 2019 im PH OÖ Magazin erschienen.